Ellen Kobe

NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN!

Eine Ausstellung von FLORA 16 – Büro für Kunst und Kommunikation,

Schloss Neue Kammern Park Sanssouci 19.7. – 28.9. 2008

in Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, gefördert von der Schering Stiftung, der Landeshauptstadt Potsdam und Pro Helvetia

NKNK_Ankündigung_Collage3a_Strempler

Museen, Schlösser und Kulturlandschaften; Orte, an denen Geschichte aufgespeichert ist, lassen in unseren Köpfen Jahrhunderte aufeinander prallen. Wie wir den Zusammenstoß von Vergangenem und Gegenwärtigem erfahren, welche Haltung wir einnehmen und ob wiruns Zeit nehmen, davon hängt ab, welche Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse frei gesetzt werden. Es ist leicht, im Wiedererkennen des Bekannten zu verharren, mit Andacht zu bewundern oder genussreich die Zeichen der Geschichte vorbeifließen zu lassen wie einen Kostümfilm. Doch es gibt andere Möglichkeiten: Die Fremdheit, das Unerwartete und die Lebendigkeit, die aus den Zeugnissen einer unwiederbringlichen Vergangenheit spricht, lässt sich als Aufforderung erfahren, auch den Blick auf die Stein und Stoff gewordene Geschichte in seiner Unabgeschlossenheit zu begreifen.

NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN! ist ein Ausstellungsprojekt, das zeitgenössische Werke nicht nur in die historischen Räume hineinversetzt, sondern Werke zeigt, deren Gegenstand das Verhältnis von alt und neu, vom 18. zum beginnenden 21. Jahrhundert ist.

Die Frage, wie wir uns und unsere heutigen Lebenswelten zu denen in Beziehung setzen, die wir nur aus ihren Überlieferungen kennen, stellt sich umso nachdrücklicher, wenn die Bilder des Überlieferten so oft reproduziert wurden und deshalb so bekannt sind – und das Ensemble der preußischen Königsschlösser in den Potsdamer Parklandschaften gehört dazu – dass sie Gefahr laufen, als bloße Wirklichkeitsabbilder ihrer Reproduktionen zu erschei-nen. So sehr ist Geschichte in ihnen festgeschrieben, dass der persönliche Zugang, der Bezug zur Gegenwart oder das Neudenken einer historischen Form unmöglich zu sein scheint.

NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN! erweitert die festgeschriebenen Bahnen der Rezeption. Erstmals in der Geschichte der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die ihre vorrangige Aufgabe im Bewahren und Erforschen ihrer Bestände sieht, wird zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit gegeben, ihre aktuellen Werke in die Räume des Gästeschlosses Friedrich des Großen zu integrieren.

Angesichts des materiellen, symbolischen und Bedeutungsreichtums der historischen Architekturen, Galerien und Möbel in Sanssouci ist die Fallhöhe für die KünstlerInnen immens. Es bedarf einer gewissen Nonchalance, ja, anknüpfend an die ursprüngliche Vision von Sanssouci: ‚Sorglosigkeit‘ im Zugang auf die historischen Orte und die Lebenswelten ihrer Bewohner, um frei zu werden für eigene, gegenwärtige Verknüpfungen mit der Vergangenheit.

Auf die Komplexität des Orts antworten die Kompetenzen der KünstlerInnen, deren Sprachen so unterschiedlich sind wie die Malerei, Skulptur, Performance, Fotografie, die Architektur, Textilherstellung und das Bühnenbild. Einige Berliner KünstlerInnen begegnen in Potsdam-Sanssouci einem vertrauten Ort, andere aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den USA einem fremden, anlässlich der Ausstellung erstmals gesehenen. Die Differenzen zwischen den künstlerischen Perspektiven eröffnen ein Spektrum, das die Schlösser-BesucherInnen in eine völlig neue Position versetzt: Sie begegnen in den zeitgenössischen Werken einem Objekt gewordenen Kommentar, der seinerseits beansprucht, als eigenständiges Kunstwerk wahrgenommen zu werden.

Der Aufforderung nachzukommen, eine eigene, heutige Perspektive einzunehmen, wird einerseits erleichtert, insofern auch die gezeigten Werke Verkörperungen subjektiver Stellungnahmen der KünstlerInnen sind, andererseits entsteht zwischen aktuellen und historischen Objekten ein komplexes Spiel, das in seiner Vieldeutigkeit jedem Dechiffrierungsversuch seine Offenheit entgegensetzt. Daher ist uns die Zusammenarbeit mit dem Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam, Fachbereich Kunstgeschichte, besonders wichtig. Herr Prof. Dr. Köstler und Frau Dr. Söll realisierten anlässlich der Ausstellung NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN! ein Seminar, in dem die Lektüre und Diskussion theoretischer Texte zum Thema Ortsspezifik von Kunst, das Aneignen neuer Ansätze der Kunstvermittlung, das Erarbeiten eines Überblicks der Geschichte Sanssoucis und seiner Rezeption als imaginärer und konkreter Ort sowie Besuche vor Ort auf dem Programm steht.

Die kunst- und kulturwissenschaftliche Reflexion aktueller kuratorischer und künstlerischer Konzepte im historischen Kontext sollten nicht nur im universitären Rahmen stattfinden. Wissenschaftliche Ergebnisse ebenso wie Methoden der Kunstvermittlung sind in die Ausstellung zurückgeflossen, indem einige der StudentInnen als SPRECHERINNEN in der Ausstellung tätig waren.

Nicht alle Werke fügen sich in die bestehende Architektur des Gästeschlosses ein. Für NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN! wird die historische Enfilade ihrer Räume über die „Allee nach Sanssouci“ bis zum Luisenplatz in Potsdams Mitte verlängert. Das Schweizer Künstlerpaar Eggs & Bitschin sowie die Architekten Bonnard/Woeffray errichten dort DIE NEUE KAMMER FÜR DIE NEUEN KAMMERN, eine temporäre Architektur im öffentlichen Raum, die an zentralem Ort zugleich als Vorbote und Wegweiser für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Sanssouci hervortritt.

NEUE KUNST IN DEN NEUEN KAMMERN! ist der Beginn einer historische Epochen, Institutionen und künstlerische Formate übergreifenden Projektarbeit, die Ausstellung, Aufführung und Vermittlung gleichermaßen fokussiert. Wir begreifen dieses die Spezifik des Orts ebenso wie die Subjektivität der Betrachtung hervorhebende Ausstellungskonzept als Chance für BesucherInnen, auch über die Dauer der Ausstellung hinaus einen selbstbewussten, reflektierten und freieren Zugang zu historischen Orten ebenso wie zeitgenössischen Kunstwerken zu entwickeln und sie als Teile einer immer neu zu hinterfragenden Gegenwart zu sehen.